Goldwing

Am letzten Freitag war es also soweit. Mit der Honda-Niederlassung in Leipzig war eine Probefahrt des Goldwing-Topmodells GL1800 mit DCT und Airbag terminiert. Zunächst erfolgte eine ausführliche Einweisung. Als absoluter Goldwing-Neuling ereilte mich erst einmal eine leichte Überforderung angesichts zahlreicher Bedienelemente, diverser Helferlein und mannigfaltigen Einstellmöglichkeiten wie automatische Blinkerrückstellung, Bluetooth-Kopplung, Fahrwerksmodi, Soundsystem, Sitzheitzung, Berganfahrhilfe, Tempomat, Rangierhilfe, elektrische Scheibenverstellung, Autostop und vielem anderen mehr.

Also los. Erstmal drauf auf das Monster – ging schon mal easy. Die im Vergleich zur VFR breitere Sitzbank macht sich allerdings nur im Stand bemerkbar. Sobald die Füße auf den Rasten stehen, ist alles, wie es sein soll. Die Sitzposition erinnert eher an Crosstourer als an Harley und es drängte sich alsbald die Lust nach einer etwas längeren Strecke für die Freitagsnachmittagsfeierabendtour auf. Vielleicht mal auf ein Eis an den Gardasee? Jetzt erstmal zum Völkerschlachtdenkmal zum kurzen Fotostop und zum Testen der Rangierhilfe. Das DCT-Modell verfügt über sieben Gänge und eben jener Hilfe, die das 383-Kilo-Teil wahlweise vorwärts oder rückwärts bewegt. Feine Sache, hätte ich durchaus auch gerne an der VFR und sie funktioniert auf Anhieb völlig problemlos. 

Goldwing vor dem Völkerschlachtdenkmal
Völkerschlachtschiff

Weiter ins Stadtgewühl Leipzigs. Klapphelm auf, Soundanlage an und im Tourmodus rüber über Straßenbahnschienen, Weichen, Flickstellen, Kanaldeckel und Kopfsteinpflaster. Das Fahrwerk meldet: Nichts. Gar nichts! Die althergebrachten Begriffe für das Fahrgefühl wie hart, komfortabel oder weich versagen. Und dabei habe ich noch gar nichts mittels Anpassungsmöglichkeiten justiert. Wäre nicht das lustige Gehüpfe der Doppelquerlenker-Vorderradaufhängung, deren Arbeit man deutlich vor dem Lenker sehen kann, hätte ich an meinen Empfindungen gezweifelt.

Trotz Feierabendverkehr kam ich alsbald in den Genussmodus und fuhr rhythmische Schlangenlinien. Das Gefährt wiegt gut hundert Kilo mehr als die VFR, fühlt sich aber mindestens genauso leichtfüßig an.

Nächster Tagesordnungspunkt: Autobahn. Das Erlebnis Auffahrtkurve rief schon wieder nach Gardasee. Die GL fällt nach kurzem Impuls von allein in die Kurve und lässt ahnen, dass da noch jede Menge Fahrspaßpotential schlummert. Vielleicht nicht gerade Haarnadelorgien, aber schön geschwungene Mittelgebirgskurven kann sie mit Sicherheit. Nun wurden noch ein wenig die Fahrmodi ausprobiert, wofür man natürlich viel mehr Zeit bräuchte. Vielleicht sollte ich doch schnell über den Brenner? Mit dem „TOUR“ genannten Modus ist man sicherlich für den größten Teil der Strecken gut bedient. Die Modi „ECON“ und „RAIN“ eignen sich zum lässigen Cruisen im 7. Gang, wobei sie sich vermutlich nur durch den unterschiedlichen Eingriff der Traktionskontrolle unterscheiden. Interessant ist „SPORT“. Im Grunde passt dieser Modus gar nicht zur Goldwing, aber wenn es eben mal losgehen muß, dann geht eben auch mal was los. Sollte dabei die Windschutzscheibe zu niedrig eingestellt sein, genügt ein Druck aufs Knöpfchen, und schon herrscht wieder Ruhe. Zum DCT sei noch angemerkt, daß die aktuelle Entwicklungsstufe die Gangwechsel nahezu unbemerkt vornimmt. Auch beim Runterschalten zum Anhalten ist das von der VFR gewohnte Geräusch nicht mehr zu vernehmen. Alles funktioniert einfach enorm geschmeidig.

Das äußerliche Erscheinungsbild des einstigen Dickschiffes hat sich übrigens stark verschlankt und erinnert mich eher an eine „PanEuropean“. Die traditionell nach hinten abfallende Linie ist allerdings noch vorhanden und die Beleuchtungselemente in LED-Technik machen hinten nach wie vor auf Automobil, ohne allerdings albern zu wirken und unterstreichen vorn den Willen nach vorn.

Fazit: Das Date mit der goldenen Schwinge beflügelt irgendwie die Lust auf eine längere Beziehung. Nicht das (gleich) eine Trennung von der „Dicken Berta“ anstehen würde, aber wer weiß… Auf dem deutschen Markt ist dieses Jahr sowieso keine mehr zu bekommen, aber vielleicht finden ja nächstes Jahr ein paar Exemplar den Weg in den Verleih. Dann wäre eine kurze Urlaubsliaison durchaus vorstellbar. Warum muss ich schon wieder an den Gardasee denken?